Rede von Frau Dr. Jutta Heimann

Im Folgenden eine Niederschrift der Rede, die Frau Dr. Jutta Heimann, Diplom-Biologin an der TU-Berlin und Mitorganisatorin der Berliner Fachtagung „Wildnis für Kinder – Realisierungschancen für Naturerfahrungsräume in Berlin“, anlässlich des 10-jährigen Bestehens des Kids‘ Gardens gehalten hat.

Der Kids Garden ist ein Ort, an dem Großstadtkinder aus der Umgebung die Natur mit allen Sinnen erfahren können ….

Sie können hier herumtollen und toben, an Blumen schnuppern, im Matsch herumspringen, singen, rennen, albern, sich ausruhen, lachen, Früchte kosten, Tiere beobachten, Erde riechen, schlafen, im Dreck wühlen, sich verstecken, Blumen pflücken, …und sogar Gemüse und Kräuter anbauen!

Ist das normal in der Stadt?

Kindern steht heute in der Großstadt besonders in den dicht besiedelten Innenstadtbezirken wenig Platz für Spiel und Naturerfahrung zur Verfügung. Viele Eltern bringen ihre Kinder aus Sicherheits- und Zeitgründen mit dem Auto in die Schule oder in den Kindergarten und zurück. Wege werden immer seltener zu Fuß zurückgelegt, was dazu führen kann, dass Kinder kein Gefühl für den Stadtraum entwickeln können, sie haben häufig nur eine inselhafte Vorstellung von den Orten, die sie kennen. Hinzu kommt, dass die Freizeit häufig verplant und durchorganisiert ist und meistens in Innenräumen stattfindet (Verhäuslichung). Fernseher und Computer ersetzen das Spiel mit anderen Kindern draußen. In einzelnen Regionen in Berlin haben mehr als ein Viertel der SchulanfängerInnen ein Fernsehgerät im Kinderzimmer. Bewegungsarmut kann zu Übergewicht führen, das gesundheitliche Befinden von Kindern verschlechtert sich. Wenig Kontakt zur Natur kann zur Naturentfremdung führen. Studien zeigen, dass das Wissen junger Menschen über alltägliche Naturerscheinungen in hohem Maße lücken- und fehlerhaft ist und ihr Interesse an natürlichen Zusammenhängen kontinuierlich abnimmt. Vielen erscheint alles, was mit Natur zu tun hat, einfach langweilig.

Was bringt Naturkontakt, Naturerfahrung den Kindern?

Kinder können durch die sinnliche Naturerfahrung eine emotionale Bindung zur Natur aufbauen und sich als Bestandteil der Natur empfinden. Sie lernen dadurch, diese zu schätzen. Untersuchungen zeigen, dass sie nur dann überhaupt ein Umweltbewusstsein entwickeln können. Menschen, die heute sogenannte „grüne Berufe“ ausüben, hatten in der Regel in ihrer Kindheit einen intensiven Bezug zur Natur. Aktuelle Themen wie Klimawandel, Globalisierung und die Bevölkerungsentwicklung auf der Erde stellen uns und unsere Kinder zukünftig vor große Herausforderungen. Wie soll man sich zum Beispiel für die Bewahrung des Regenwaldes einsetzen, wenn man selbst noch nie in einem Wald war, und es einem egal ist, ob es Bäume in der Stadt gibt oder nicht?

Zusammen mit anderen Kindern in der Natur zu spielen, trägt auch zur Schulung sozialer Kompetenzen bei, zu einer verbesserten Selbsteinschätzung und zum Erwerb von Risikokompetenzen. Es ist förderlich für eine gesunde körperliche, emotionale und geistige Entwicklung, wie Psychologen und Hirnforscher bestätigen.

Was ist für das Spiel in „natürlicher Umgebung“ notwendig?

Wir brauchen naturnahe Grünflächen ohne Intensivpflege, die wohnungsnah gelegen sind und von den Kindern gefahrlos erreicht werden können. Eine Ausstattung mit Spielgeräten, die Spielmöglichkeiten vorgeben, ist nicht notwendig. Die Kinder sollten nicht pädagogisch „überbetreut“ werden, sondern sie sollten selbstbestimmt und eigenständig handeln und spielen können. Spontane unbeaufsichtigte Aktivitäten sollten möglich sein, die Kinder müssen sich auch einmal zurückziehen können und Raum für Entspannung finden. Dann steht einem eigenen Zugang zur Natur, der Entwicklung von Kreativität und Phantasie nichts mehr im Wege. Am besten ist es, wenn diese Flächen frei zugänglich sind, und die Benutzung für alle Kinder der Umgebung kostenfrei ist. Es ist eine große Gemeinschaftsaufgabe, Kindern solche Flächen zur Verfügung zu stellen, und das Engagement von Eltern, PädagogInnen, PlanerInnen und PolitikerInnen ist dafür notwendig.

Im Kids Garden können auch sehr kleine Stadtkinder in einem geschützten Raum

Natur in selbstbestimmtem Spiel erfahren, erleben und schätzen lernen und einen Ausgleich zum oft tristen Alltag in Gebäuden finden. Der Kids Garden bietet mitten in der Stadt Lebensraum für Tiere und Pflanzen und ermöglicht den Kindern, diese zu beobachten. Er stellt eine sinnvolle Ergänzung zu konventionellen Spielplätzen dar und ist ein Ort der Begegnung. Er bindet Kinder und Erwachsene an diesen Ort in ihrem Bezirk, verwurzelt sie hier und hilft damit, der Segregation vorzubeugen. Kinder können hier soziale Kompetenzen erwerben, er trägt zur Integration von Kindern aus zugewanderten Familien bei und steigert die Lebensqualität im Kiez.

Allen, die dazu beigetragen haben, sei herzlich gratuliert. Sie können stolz auf Ihr bürgerschaftliches Engagement und die stetige Entwicklung des Kids Garden sein. Weiter so!

Berlin, im Oktober 2009

Jutta Heimann

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